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Auszug aus einem Vortrag in Marburg am 06.10.2009

Wir reden über eine der schlimmsten Straftaten, die ein Mensch begehen kann, wenn man einmal von Mord und Totschlag absieht. Wir reden über den sexuellen Missbrauch von Kindern, also von kleinen Menschen, die am Anfang ihrer Entwicklung stehen und die ein Leben lang unter dem, was ihnen angetan wird, leiden werden und normalerweise des besonderen Schutzes der Erwachsenen bedürfen!

Die strafrechtlichen Bestimmungen finden sich in § 176 ff StGB. Danach wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einem Kind, vor einem Kind oder von einem Kind vornehmen lässt oder ein Kind mit pornographischen Reden oder Schriften behelligt. Die graduellen Abstufungen, bis hin zum Tode des Kindes, sind in diesen Paragraphen sämtlich aufgeführt. Wir reden nicht über Einzelfälle, wir reden über eine ungeheure Vielzahl von Fällen, wobei wir hier nur schätzen können. Die Schätzungen gehen auf ca. 300.000 Kinder pro Jahr, die missbraucht werden. Die Schätzungen führen weiter aus, dass jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder 7. bis 10. Junge bis zum 18. Lebensjahr einmal oder über Jahre hinweg missbraucht werden.

Wer nun sind die Täter? Wie bei nahezu allen Sexualdelikten, so ist auch hier der Täter im nahen Umfeld des Opfers zu suchen. Rd. 98 % sind Männer aus dem Bekanntschafts- oder Verwandtschaftsumfeld des Opfers. Fast immer benützt der Täter seine erhebliche Dominanz, um den Missbrauch durchzuführen. Es handelt sich also nicht immer nur um reine Sexualdelikte, sondern auch um die Demonstration von Macht. Ein solcher Fall von mir liegt gerade dem hiesigen Jugendamt vor, wo der Täter, ein gebildeter Vater, seine Dominanz über die in Scheidung lebende Ehefrau über das gemeinsame Kind ausführt. Ein klassischer Fall, der immer wieder bei Jugendämtern auftritt. Hier zeigt sich, dass das Kind im wahrsten Sinne des Wortes bereits in den Brunnen gefallen ist, bevor die öffentlichen Stellen eingreifen können, da sie davor nichts von den Übergriffen wissen. Hier liegt es an den Erziehungsberechtigten oder an dem näheren Umfeld des Kindes, die Warnzeichen zu erkennen.

Bedauerlicherweise gibt es keine eindeutig signifikanten Warnzeichen, sondern nur Hinweise im emotionalen und körperlichen Verhaltensbereich. Generell gilt, dass man aufpassen muss, wenn ein Kind sein Verhaltensmuster ändert, wenn es zum Beispiel das Interesse an seiner Umgebung verliert, schulisch schlecht wird, hyperaktiv oder auch aggressiv wird. Auch die Angst vor Schlafzimmern, Badezimmern, das Entstehen von Albträumen oder auch Tagträumen, nicht altersgemäßen sexuellen Spielen oder auch sexualisierendem Verhalten, unterschiedlichen Verhaltensmustern beim Essen - all dies sind erste signifikante Anzeichen. Ich führe sie hier im Nachfolgenden auf, quasi als Checkliste, für die, die damit zu tun haben.

Wir unterscheiden körperliche von seelischen Verhaltensauffälligkeiten. Bei körperlichen Auffälligkeiten sind insbesondere zu nennen, Geh- und Sitzschwierigkeiten, Blutungen, Schmerzen oder Juckreiz im Genitalbereich, unerklärliche Prellungen, Kratzer, Hämatome, besonders im Genital-, Vaginal- oder Analbereich, Blut im Urin und Stuhl, Schmerzen beim Wasserlassen oder Stuhlgang, Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaften oder auch nervlich bedingte Magen- und Darmverstimmungen. Wesensveränderungen sind unterschiedlich festzustellen, je nach Alter. Bei Kleinkindern sind Aggressionen zu diagnostizieren beim Windelnwechseln, hyperaktives Verhalten bis hin zur Dauerbeanspruchung der nahestehenden Personen, verstärktes Weinen und Zeigen von Ängstlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, sehr devotes Verhalten, Konzentrationsarmut, extremes Beschäftigen mit dem eigenen Genitalbereich, aber auch sexuell vermehrtes Verhalten gegenüber anderen Kindern, Spielsachen oder Tieren. Ganz deutliche Indikatoren sind regressives Verhalten, also das Verhalten als wäre das Opfer jünger (Bettnässen, Babysprache, Daumenlutschen …), aber auch Schlafstörungen, Angst vor Dunkelheit, dem Bett, Albträume etc. Weitere Indikatoren gibt es viele, spiegeln sich aber grundsätzlich in dem veränderten Verhalten gegenüber Fremden, der eigenen Gruppe oder auch dem eigenen Körper wider.

Ein gutes Früherkennungsmittel sind übrigens Zeichnungen des Kindes. Hier kann sich sehr oft widerspiegeln, was sich im Leben des Kindes tut. Ältere Kinder wiederum haben einen erheblichen Verlust an Selbstwertgefühl, verlieren emotionale Kontakte, werden schulisch schlecht, leiden unter immer wiederkehrenden Beschwerden, wie Bauch- oder Kopfschmerzen, entziehen sich dem Vertrauen gegenüber anderen, haben Schlafprobleme, Suizidgedanken oder aber reduzieren ihre Aggressionsschwelle dramatisch. Beachten Sie bitte auch, dass sehr oft die Kinder sexuell aktiv werden, wenn sie selbst missbraucht werden. Sie werden sexuell sehr offen, biedern sich sehr stark an und prostituieren sich quasi. Sie kennen diese Fälle aus eigener Anschauung, auch hier in Marburg. Beachten Sie bitte auch bei den Kindern, und das ist für Sie leichter zu bemerken als die körperlichen und seelischen Anzeichen, dass sich die Sprache bzw. auch das Äußern gegenüber dritten Personen ändert. Bemerkungen wie: „Ich will nicht mehr mit dem Opa spielen“ oder „…nicht mehr zum Vater gehen“ oder ausweichende Fragen auf die Veränderung im Sozialverhalten weisen häufig auf Sexualmissbräuche hin. Allerdings muss davor gewarnt werden, eine Massenhysterie aufkommen zu lassen, wie es leider immer wieder geschieht. Ganz besonders erinnere ich mich an einen eigenen Fall, in dem im Taunus ein Kindergartenbetreuer durch Eltern und ein überfordertes Jugendamt zum Täter abgestempelt wurde, und zwar einzig und allein aus Gründen der Massenhysterie und der suggestiven Befragung der Kinder. Dies ist überhaupt ein großes Problem im Umgang mit Kindern. Im Gegensatz zu Erwachsenen sind Kinder leicht manipulierbar und in eine – vielleicht auch ungewollte – Richtung zu bringen. Daher muss alles vermieden werden, was ein Kind einer Suggestivbefragung unterzieht, um das Kind nicht zu schädigen, aber auch, um einen Unschuldigen nicht zu belasten. Sie merken schon, dass es eines ungeheuren Feingefühls bedarf, um hier nicht Porzellan zu zerschlagen, was nur schwer zu kitten ist. Auch meine juristischen Kollegen, ganz besonders die Familienrichter, können eine spätere Aufklärung eines sexuellen Missbrauchs gehörig vereiteln, indem sie die Kinder im Rahmen der Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren suggestiv und damit ungeschickt befragen. Ein „gefundenes Fressen“ für jeden Strafverteidiger!

Auf ein spezielles Problem möchte ich nun eingehen, was dem Laien nicht erklärlich ist und immer wieder zu Kopfschütteln und dem Bestreiten von Missbrauch führt. Wieso setzen sich Kinder, wenngleich sie nicht wollen, immer wieder der sexuellen Belästigung oder des Missbrauchs des gleichen Täters aus? Wieso ergreifen die Kinder nicht die Flucht? Wieso gehen die Kinder über mehrere Tage, Wochen und Monate in die gleiche Situation, in die gleiche Hölle? Hier liegt ein erhebliches psychologisches Problem vor, das nicht in zwei Sätzen zu erklären ist. Wir kennen im Strafrecht zwei Formen von Gewalt, nämlich „vis absoluta“, also der wirklich körperlichen Gewalt und der „vis compulsiva“, der psychischen Gewalt, und die genau liegt hier in solchen Fällen vor. Der Täter schafft es, eine dermaßene Beherrschung über das Opfer aufzubauen, ein solches Machtmonopol, sei es durch Schmeicheln, sei es durch Schamerwecken, sei es durch Drohen und „Erpressen“, dass das Opfer quasi wie in einem Spinnennetz gefangen, sich nicht dagegen wehren kann, resigniert und seine Opferrolle nicht akzeptiert, aber schweigend zu erleiden lernt. Dass durch dieses schweigende Erleiden die eingangs erwähnten Symptome entstehen, ist wohl verständlich. Das Opfer wird innerlich zerrissen, wird zu Handlungen geführt, die es nicht will und hat im Nachhinein Schwierigkeiten, seine Abhängigkeit zu erklären. Ich habe gerade in dieser Hinsicht viele Gespräche mit Opfern geführt und in eindrucksvoller Weise Fälle kennengelernt, in denen das Opfer unlöslich in das Spinnennetz des Täters eingewoben war. Einen für mich sehr deprimierenden Fall, weil vor kurzem mit dem Suizid des früheren Opfers endend, gab es in Frankfurt. Hier hatte der Vater und Großvater, der sogar bettlägerig war, über Jahre hinweg seine eigene Tochter und deren Tochter missbraucht. Die Frauen warteten im Haus immer schon darauf, dass der alte Mann mit seinem Stock auf den Boden des Schlafzimmers stampfte, um dann ergeben und ohne Gegenwehr „den Gang nach Canossa“ anzutreten. Ein normaler Mensch würde sagen: „Mir passiert doch so was nicht.“ Seien Sie aber versichert, dass die Menschen, die so etwas erlitten haben, ursprünglich auch normale Menschen waren. Gerade bei solchen Familientragödien weiß in der Regel die Mutter davon Bescheid, wenn der Vater oder ein naher Angehöriger das Kind missbraucht. Nach meiner Einschätzung machen in mindestens 80 % der Fälle die Mütter die Augen zu und wollen es nicht wissen. Sie leiden unter dem Sozialansehen, den Existenzängsten, die entstehen, wenn der Ernährer weggeschlossen wird, unter dem Versuch, nach außen eine heile Welt zu demonstrieren. Ich hatte einen Fall eines Deutschrussen, bei dem die Mutter des Opfers endlich nach zweieinhalb Jahren den Mut hatte, ihn anzuzeigen. Diese zwei Jahre zuvor waren ein Martyrium für Mutter und Tochter. Der Mann vergewaltigte, wenn man es so nennen kann, lebende Hühner, um sich danach auf seine Tochter zu stürzen. Die Mutter setzte immer wieder Ultimaten, damit er aufhöre, was aber nichts fruchtete. Zwei ganze Jahr benötigte die Mutter, um endlich tätig zu werden und das Kind damit vor dem Vater zu schützen. Was in diesen zwei Jahren in Mutter und Tochter vorgegangen ist, können wir uns kaum vorstellen. Aber das ist die Realität, mit der Sie auch im Alltag konfrontiert werden. Von Ihnen wird ein ungeheures therapeutisches und diagnostisches Wissen erwartet, mit dem Sie einen sehr sensiblen Lebenssachverhalt zu lösen haben. Dabei müssen Sie wissen, dass Sie nicht alleine sind. Opferorganisationen mit dem engen Kontakt zu Psychologen und Anwälten können Ihnen in solchen Situationen mit Rat und Tat zur Seite stehen. 

Rechtsanwälte Dr. Kahl + Dr. Koch + Metz
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